Biographie des Pioniers der Raumfahrt Hermann Oberth

Ziolkowski und Oberth legten wissenschaftlich-technisches Fundament der praktischen Weltraumfahrt

Die Literatur kennt viele mehr oder weniger phantastische Darstellungen des Fluges zu anderen Himmelskörpern. Erste umfassende wissenschaftliche Untersuchungen des Raumfahrtproblems in Verbindung mit Rückstoßantrieben wurden jedoch erst um 1900 von dem russischen Gelehrten Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski (1857-1935) und in den 20er Jahren von dem Siebenbürger Sachsen Hermann Oberth (1894-1989) vorgenommen. Die beiden Physiklehrer erarbeiteten ihre Konzeptionen unabhängig voneinander, Ziolkowski zweieinhalb Jahrzehnte früher, Oberth weit umfassender und tiefgründiger.

oberthTafelKleinHermann Julius Oberth wurde am 25. Juni 1894 in Hermannstadt (Sibiu) im rumänischen Siebenbürgen geboren. Nach dem Besuch der Volkshochschule und des Gymnasiums studierte er in Klausenburg, München, Göttingen und Heidelberg Medizin und Physik und arbeitete dann als Gymnasiallehrer wieder in Siebenbürgen. Angeregt durch Bücher von Jules Verne untersuchte er bereits als Schüler die Frage, ob denn der Mensch wirklich in den Weltraum und zu anderen Himmelskörpern gelangen könne. Er erkannte das Rückstoßprinzip als einzige dafür brauchbare Antiebsvariante, fand die Raketengrundgleichung und das Prinzip der Mehrstufenrakete. Er berechnete Flugbahnen, entwickelte Raumstationen mit künstlicher Gravitation, stellte erste raumfahrtmedizinische Versuche an und schlug Zentrifugen zum Training der Kosmonauten vor. Seine äußerst weitsichtigen und wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse stellte er in seiner Heidelberger Studentenwohnung zu einer komplexen Raketen- und Raumfahrttheorie zusammen, der er den Titel gab "Die Rakete zu den Planetenräumen".

1922 reichte er seine Schrift als Dissertation ein. Die welterste Doktorarbeit zum Thema Raumfahrt wurde jedoch als "zu phantastisch" zurückgewiesen. "Es zeigte sich also", so der Raumfahrtpionier später, "daß es unmöglich war, wissenschaftliche Autoritäten dazu zu bringen, mich anzuhören und über meine Vorschläge nachzudenken. Um sie zu zwingen, sich doch damit zu befassen, blieb mir nur der Umweg über das öffentliche Interesse."

So erschien "Die Rakete zu den Planetenräumen" 1923 in München als Buch. Es fand großen Zuspruch und provozierte kontroverse Dispute. Es wurde 1925 erneut aufgelegt und 1929 durch die wesentlich umfangreichere Abhandlung "Wege zur Raumschiffahrt" abgelöst. Das Werk enthält neben berechneten Raumfahrtunternehmungen nahezu alle heute bekannten Nutzanwendungen der Weltraumfahrt, übrigens auch das Konzept eines Raumgleiters. Das in mehrere Sprachen übersetzte Buch wurde "Bibel der wissenschaftlichen Astronautik" genannt und als hauptsächlicher Anstoß zur praktischen Verwirklichung der Raumfahrtidee angesehen.

1938 gelang es der "Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt", Professor Oberth vertraglich an sich zu binden und ihn an den Technischen Hochschulen Wien und Dresden zu beschäftigen. Als er merkte, dass hier nicht Raumfahrtprojekte, sondern Kriegsraketen vorbereitet wurden, war es zu spät. Unter KZ-Androhung zwang man ihn, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. 1941 wurde er nach Peenemünde auf Usedom befohlen, wo er auf Dr. Wernher von Braun traf, der ihm bereits 1930 als Ingenieur-Student beim Bau eines Raketenmotors assistiert hatte und nach dem Krieg der legendäre Projektmanager der NASA werden sollte. In Penemünde war er technischer Leiter und zeigte Oberth den Probelauf der weltersten Großrakete "Aggregat 4", welche auf der Grundlage der Oberthschen Raumfahrtbücher ohne Wissen des Verfassers gebaut worden war. Der Raumfahrtpionier wurde in Peenemünde, wie auch schon in Wien und Dresden, mit Nebenarbeiten und Zukunftsprojekten beschäftigt, so daß er nicht direkt und unmittelbar an der Konstruktion und Fertigung der gegen Kriegsende eingesetzten V 2 beteiligt war. Dem deutschen Kriegsministerium genügte es, den Wissenschaftler unter Kontrolle zu wissen und ihn der anderen Seite unzugänglich zu machen.
1945 ging Hermann Oberth nach Feucht bei Nürnberg, wo sich seine Familie bereits während des Krieges niedergelassen hatte. Hier verbrachte er, abgesehen von zeitweiligen Arbeitsaufenthalten in der Schweiz, Italien und den USA, die ruhigeren Jahrzehnte seines Lebens. Die in dieser Zeit verfaßten Aufsätze und Bücher zeigen, wie der Schwerpunkt seines geistigen Schaffens allmählich von der Raumfahrt zu politisch-weltanschaulichen Themen überwechselte.

Noch im Juni 1989 konnte der „Internationale Förderkreis für Raumfahrt Hermann Oberth – Wernher von Braun e.V.“ (IFR) den 95-jährigen Begründer der wissenschaftlichen Astronautik zum 38. Raumfahrt-Kongreß in Salzburg als Ehrengast begrüßen. Doch wenige Monate danach ging das erfüllte Leben des großen Mannes der Raumfahrtgeschichte zu Ende. Herr Prof. Dr.-Ing.E.h. Dr.h.c.mult. Hermann Oberth verstarb am 28. Dezember 1989 in Feucht.

Die Weltraumfahrt entwickelte sich in erstaunlicher Übereinstimmung mit den Oberthschen Vorstellungen. Es gibt kaum einen wissenschaftlichen Raumfahrtgedanken, den der fünffache Ehrendoktor nicht gedacht hat, wohl aber noch einige Oberth-Projekte, an deren praktischen Realisierung man erst in unserem Jahrhundert denken kann.

Ausführliche Biografie: Sterne und Weltraum, 12/2000, S. 1094-1099

© Lutz Clausnitzer

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