Die totalen Sonnenfinsternisse in Deutschland von 1706 bis 2135

Es wird jede totale Sonnenfinsternis erwähnt, deren Kernschatten Deutschland (in den heutigen Grenzen) erreicht hat bzw. erreichen wird, und sei es nur am Rande

1706: Ein großes Ereignis. Bei herrlichem Wetter lief ein breiter Kernschatten quer durch Deutschland.

Eine große ganz Deutschland überquerende totale Sonnenfinsternis ereignete sich am 12. Mai 1706. Sie war „weit und breit in Europa sichtbar“. Die Mitte des 330 km (!) breiten Kernschattens wanderte damals aus der Schweiz kommend durch Süddeutschland, den Nordwesten Böhmens und Sachsen nach Polen. Die Verbindungslinie Stuttgart–München, welche am 11. August 1999 mit der Zentrallinie nahezu zusammenfiel, stand damals fast senkrecht zu ihr und wurde dennoch vollständig vom Kernschatten erfasst. Ein Chronist der 35 km südlich von Stuttgart gelegenen Stadt Reutlingen stellt fest: „Vormittags um 10 Uhr war in Schwaben eine totale centrale Sonnenfinsterniß von Dauer zu sehen, wo die ganze Verfinsterung 5 Minuten dauerte.“ Die „Lindauer Chronik“ berichtet: „1706 d. 12. Maji Morgens zwischen 9.10 und 11 Uhr ist auch allhier eine sehr große Sonnenfinsterniß gewesen, da darüber Mensch und Vieh sich entsetzt und nicht anderst vermeinit haben, als ob er folge darauf der jüngste Tag selber“. Im ostsächsischen Zittau, wo man offenbar nur mit einer teilweisen Bedeckung der Sonne gerechnet hatte, schreibt ein Laienastronom (wahrscheinlich ein Arzt): „Aber wir entsetzten uns nicht wenig, als wir sahen, daß der Mond, im Augenblick, und als wenn er mit macht, von jemand fort- und fürgeschoben würde, alles Sonnenlicht bedeckte, und eine totale Finsternis bey uns verursachte... Wir stunden also mitten am Tage in einer stockfinsteren Nacht... Wiewohl diese Finsternis noch gar etwas sonderlich und entsetzliches bey sich hatte, welches ich selbst nicht recht ausdrücken kan, ohne daß ich sagen muß, es sei eyne bleich und todten-gelbe, und also viel betrübtere und jämmerliche Finsternis gewesen, als etwan die gewöhnliche Finsternis der Nacht ist. Sonderlich, weil auch die unvernünftigen Creaturen darüber bestürzt waren, und sich gleichsam in eine so unzeitige Nacht nicht zuschicken wusten. Die Schwalben, flogen stille schweigend, gantz nahe bey den Menschen heran, als wenn sie bey selbigen Hülfe suchen wolten. Die Tauben, deren etliche zu meiner ergetzung halte, sassen theils auf dem Dache theils waren zu Felde, und mußten beyderseits an ihrem Orte bleiben, biß die Sonne sich wieder blicken ließ; da jene gantz zitternd nach ihren Höhlen flogen; diese aber wie die Pfeile von dem Feld geschossen kahmen, und vor Furcht zitternd und bebend, jene nacheileten.“

1724: Kernschatten läuft über Südwestecke

Eine weitere totale Sonnenfinsternis ereignete sich am 22. Mai 1724 im Südwesten Deutschlands, wo z.B. Freiburg im Breisgau kurz vor Sonnenuntergang eine knapp zweiminütige Totalität erlebte.

1887: Im Osten Deutschlands bei Sonnenaufgang

Am Morgen des 19. August 1887 stieg in Berlin statt einer kreisförmigen Sonnenscheibe nur eine schmale helle Sichel über den Horizont. Die schon Minuten später eintretende Totalität entzog sich jedoch den Blicken der Beobachter. Darüber berichtet tags darauf die Volkszeitung: „Es war ein interessanter Kampf, der sich nun in dem Gewölk entwickelte, doch leider vermochte der Feuerball den Wall von Wolken nicht zu durchdringen, nur einmal leuchtete er in feuriger Sichel schüchtern hervor – dann wurde es plötzlich dunkel, der Tag war durch die Nacht verdrängt, das ganze Landschaftsbild erhielt eine grünlichgraue Färbung und erst nach zwei Minuten ersah man aus der plötzlich zurückkehrenden Tageshelle, daß das Stadium der totalen Verfinsterung überwunden war.“

1912: Total oder nicht total?

Am 17. April 1912 gab es eine Sonnenfinsternis, bei der die durch Sonnen- und Mondmitte fixierte Zentrallinie über Norddeutschland hinweg lief. Doch war der Mond zu diesem Zeitpunkt gerade so weit von der Sonne entfernt, dass er nicht durchgängig imstande war, die Sonne vollständig zu verdecken. Es kam zu einer in Frankreich noch totalen in Deutschland jedoch nur noch ringförmigen Sonnenfinsternis. In den Bremer Nachrichten findet man: „Hatte es fast geschienen, als könne die Verfinsterung auch für Bremen eine totale werden, so verschob sich gegen 1 Uhr 25 Minuten das Bild des schmalen, hell gebliebenen Sonnenrandes sehr rasch... Eine ganz schmale Sichel drehte sich in wenigen Minuten von oben links über die Oberkante des Mondes hinweg...“

1999: Einmal zu Lebzeiten quer durch Deutschland, aber das Wetter...

Am 11. August 1999 ereignete sich für die heute lebenden Generationen die einzige Sonnenfinsternis, die von deutschem Territorium aus als totale Finsternis zu beobachten war. Ab 12.30 Uhr raste der Kernschatten des Mondes in 8 min und 12 s über den süddeutschen Raum hinweg. Die Erwartungen der Menschen waren groß, hatten doch die Medien auf die Einmaligkeit des Ereignisses aufmerksam gemacht. Viele reisten in den Süden des Landes, um das angekündigte Naturschauspiel nicht zu verpassen. Staus auf den Autobahnen waren nicht zu vermeiden. Und tatsächlich konnte jeder die Erfahrung machen, dass der Tag Halbzeit machte. Doch nicht jeder konnte verfolgen, wie der Mond die Sonnenscheibe verschlang und uns für zwei Minuten das schwach Leuchten der Sonnenatmosphäre zeigte. Über Mitteleuropa lag eine, wenn auch mit Lücken versehene, Wolkendecke.

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Bild 1: Dieses von der ehemaligen russischen Raumstation MIR aus aufgenommene Foto zeigt nicht nur den Kernschatten über Europa, sondern auch das Problem des Tages: die Wolken. Archiv: S. Jähn

Bild 2: Es war eine reine Glückssache, dass die Bewölkung an der saarländisch-französischen Grenze östlich von Zweibrücken zur richtigen Zeit so dünn war, dass man durch sie hindurch fotografieren konnte, hier mit Borg ED 100/640 und Zweifachkonverter, d.h. mit 1280 mm Brennweite.   Foto: L.C. Bildausschnitt.

2081: Freiburg und Bodensee im Kernschatten

Schweiz und Österreich sind die großen Nutznießer dieser totalen Sonnenfinsternis. Von Deutschland wird nur ganz im Süden ein schmaler Streifen in Finsternis gehüllt.

2135: Ururenkel erleben wieder ein großes Ereignis

Voll durch deutsche Lande läuft der Kernschatten erst wieder einige Generationen nach uns. So wie zum letzten mal 1706, wird 2135 auch Sachsen wieder eine totale Sonnenfinsternis erleben.

Zugabe:

Hier gibt es einen Bericht und ein Komposit von der totalen Sonnenfinsternis 2017 in den USA sowie einen Kurzbericht und ein Bild
von der Finsteris, die ich 2019 an der Europäischen Südsternwarte La Silla in Chile beobachtet habe.

L.C.

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